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Montag, 29. April 2024
Schuldzuweisungen tragen selten zur Lösung bei

Teufelskreis

Hintergrund | Wolfgang Grasl | 01.10.2017 | |  Archiv
Bild: Jürgen Acker/ pixelio.de Bild: Jürgen Acker/ pixelio.de

Ich habe mehr als 20 Jahre in der produzierenden Industrie verbracht, die meiste Zeit davon in der Elektro- und Elektronik Branche. In unterschiedlichen Positionen hatte ich fast immer einen direkten Draht zur Entwicklungsabteilung, bzw. hatte dort auch Führungspositionen. Während dieser gesamten Zeit ist es zumindest in meinem Umfeld niemals auch nur annähernd diskutiert, geplant oder gar umgesetzt worden, die Lebenszeit eines Produktes gezielt zu verkürzen.

Mir ist also noch keine „geplante Obsoleszenz“ untergekommen. Das heißt aber nicht, dass das (verkürzte Lebensdauer der Produkte) nicht trotzdem passiert ist. Die permanente Preisspirale, der Konkurrenzdruck, der Druck des Großhandels und letztendlich die „Geiz ist Geil“ Mentalität der Konsumenten, zwingen die Produktentwicklungen in vielen Segmenten dazu die Komponenten immer billiger zu gestalten.
In der Praxis sah das oft in etwa so aus:
In einer Vorstandsitzung diktiert der Vertriebschef dem Technikchef wie der Preis für das neue Produkt (oder das face-geliftete) im nächsten Jahr zu sein hat, um mit dem Markt mithalten zu können. Der Technikchef geht zum Entwicklungschef und teilt ihm diese Vorgaben mit. Nach der obligatorischen Weigerung diesen Wahnsinn umzusetzen, Androhung von Kündigung und einer Menge nicht jugendfreier Worte fügt sich auch der Entwicklungschef und hat eine ähnliche Diskussion nochmal mit seinem Team. Das Entwicklungsteam hat dann die Aufgabe aus einem funktionierenden System nochmal den Betrag X rauszuquetschen. Neben der automatischen Preiserosion vieler Zukaufteile müssen weitere Abstriche gemacht werden. Das neue Netzteil hat dann eben keine 25% Leistungsreserve mehr, kommt von einem unbekannten Hersteller, wird entsprechend wärmer und ev. kurzlebiger. Viele Bauteile und Komponenten müssen jetzt billiger eingekauft werden um den neuen Zielpreis zu erreichen. Die Entwickler versuchten immer das Beste rauszuholen, die neuen Teile so ausgiebig wie möglich zu testen und die Spreu vom Weizen zu trennen, aber manche der neuen Teile waren eben qualitativ nicht so hochwertig wie die teureren, die früher eingebaut wurden. Oft leidet durch neue, billigere Baugruppen neben der Haltbarkeit auch gleichzeitig die Reparierbarkeit.

Also, ich persönlich habe ausschließlich technik-verliebte Entwickler kennengelernt die am liebsten nur das Beste verbauen würden, aber das Preisdiktat dieser gesamten Nahrungskette bestimmt eben was verwendet werden kann.

Natürlich gibt es auch Produkte wie Drucker, bei denen der Austausch der Druckerpatronen im Grunde eine reine Geschäftemacherei ist. Das würde ich aber auch nicht als „geplante Obsoleszenz“ sehen, sondern als Geschäftsmodell. So wie elektrische Zahnbürsten, bei denen der Nachkauf von Aufsätzen den Gewinn für den Konzern bedeutet. Apropos elektrische Zahnbürsten: Da gab es vor vielen Jahren zahlreiche Beschwerden über defekte Zahnbürsten. Der Grund lag in eingedrungener Nässe, die zur Zerstörung des Akkus oder Teilen der Elektronik geführt hat. Die Hersteller haben die Gehäuse daraufhin wasserdicht verschweißt und müssen sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, dass man die Geräte nicht mehr reparieren kann…

Wer in diesem Teufelskreis Hersteller – Handel – Kunden schuld ist an dieser Entwicklung und wer „nur mitspielt“, ist aus meiner Sicht unerheblich, weil Schuldzuweisungen nichts zu einer Lösung beitragen.

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