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Freitag, 26. April 2024
Editorial E&W 11/2021

Sein und Schein

Hintergrund | Wolfgang Schalko | 14.11.2021 | Bilder | |  Meinung

Wolfgang Schalko
Seltsame Zeiten sind das, die wir gerade durchleben. Ob das dauerflaue Gefühl im Magen tatsächlich „nur” auf die Covid-Pandemie zurückgeführt werden kann, erfahren wir womöglich nie. Aber irgendetwas hat das Virus ganz offensichtlich damit zu tun, denn es macht etwas mit uns Menschen. Vielleicht sogar mehr indirekt als direkt, dafür umso nachhaltiger.

Oberflächlich betrachtet geht eigentlich alles seinen gewohnten Gang: Die Weltwirtschaft ist nicht kollabiert – dem Handel hat die Krise sogar Aufwind beschert – und die Säulen der Gesellschaft mögen da und dort zwar ein bisschen gewankt haben, die Gefahr eines Umfallens war aber zu keiner Zeit ernsthaft gegeben. Zumindest in unseren Breiten. Denn auch, dass die Welt als Ganzes im Grunde höchst ungerecht ist und wir auf der „guten” Seite leben dürfen, ist Bestandteil unser Realität. Und dennoch: Blickt man hinter die Kulissen bzw. beginnt ein wenig tiefer zu graben, tritt schnell dieses latente Unbehagen, hervorgerufen durch eine quälende Unsicherheit und/oder eine vermutete Ohnmacht, zutage. Wir wissen – Stichwort Klimawandel (die Katastrophe kommt noch) –, dass wir etwas ändern müssen, tun es aber nicht. Weil wir nicht wollen oder nicht können. Manchmal beides.

Das beste Beispiel liefern die tagtäglichen Diskussionen um die Covid-Impfung bzw. den Alternativen dazu. Und bevor sich ein seriöses, faktenbasiertes Streitgespräch (wie es übrigens in vielen Fragen, nicht nur rund um Corona dringendst notwendig wäre) packt einer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den „Whataboutismn” aus. Dieses sehr in Mode gekommene Kommunikationsprinzip folgt einem einfachen Muster: Wird eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage vorgebracht, beantwortet man diese mit einer Gegenfrage: What about…? – Was ist mit…? Damit soll vom eigentlich Kern des Diskurses abgelenkt werden. Beispielsweise, wenn jemand in einem in Bezug auf die Benachteiligung der Frau vorbringt, dass es ja auch Männer gebe, die von Frauen diskriminiert werden. Und sollte selbst das nicht mehr ziehen, schreit man einfach „Fake-News”…

Schon vor über 60 Jahren hat Hannah Arendt etwas geschrieben, das heute vielleicht aktueller ist denn je: „In einer sich ständig wandelnden, unverständlichen Welt hatten die Massen den Punkt erreicht, an dem sie gleichzeitig alles und nichts glaubten, alles für möglich und nichts für wahr hielten.” Die (a-)sozialen Medien sind derart voll von Dümm-, Dreistig- und Grauslichkeiten aller Art, dass es schon lange auf keine Kuhhaut mehr geht. Das gemeinhin als probat geltende Gegenmittel, Social Media einfach zu meiden, um diesem Sog zu entrinnen, entpuppt sich jedoch als Placebo: All das dort in den Untiefen des WWW Vorgebrachte, ob wahr, falsch, politisch korrekt, strafbar, klug oder was auch immer, hat nämlich Auswirkungen auf das „echte” Leben. Aus Fiktion entstehen Fakten. So, wie man natürlich auch weiß, dass Computerspiele per se nicht real sind – Spielsucht & Co. dagegen sehr wohl.

Um von solchen, für ein Unternehmen oder eine Organisation unangenehmen bzw. nicht unbedingt zweckdienlichen Fakten abzulenken, wird gerne und mit einer zunehmenden Häufigkeit verschleiert. Wenn es um Aspekte wie Umweltschutz oder Nachhaltigkeit geht, die in der öffentlichen Wahrnehmung zuletzt stark an Bedeutung gewonnen haben, werden dahingehende „Fehlversuche” beispielsweise unter dem Überbegriff „Greenwashing” aufgedeckt. In eine ähnliche Kerbe schlägt die Münchner Marketing Manufaktur, die in Hinblick auf den Black Friday Sale rät: „Wichtig ist hervorzustechen: Originelle Aktionen und nicht nur einfach ‚20 Prozent auf alles‘ fallen auf. Händler sollten Kunden das Gefühl geben, dass sie hier das beste Schnäppchen bekommen.” Tarnen und täuschen also, um dem Schnäppchenjäger einen dickeren Fisch vorzugaukeln, als er ihn tatsächlich an der Angel hat. Ich glaube jedoch, dass man damit auf dem Holzweg ist. Vielmehr scheinen Menschen – allen voran Kunden – die immer weiter reichende Transparenz als Selbstverständlichkeit voraussetzen und daher eines vehement fordern: Klartext. Jeder von uns weiß, dass nicht immer alles schön, nett und harmlos sein kann. Dazu muss man stehen. Das hat auch etwas mit dem Übernehmen von Verantwortung zu tun. Corporate Social Responsibilty ist übrigens ein weiteres dieser Modewörter, das sich die großen Konzerne momentan gerne auf die Fahnen heften – und es ist zumeist nur eine Frage der Zeit, bis sie beim Zuwiderhandeln öffentlich vorgeführt werden.

In weiterer Folge geht es hier auch um die Frage, was zumutbar ist. Dies ist meines Erachtens eine – vielleicht sogar DIE – entscheidende Frage. Etwa in Hinblick auf die zunehmende Konkurrenz, die dem Fachhandel momentan aus den Reihen der Industrie – Stichwort Markenshops – erwächst. Aber auch in Hinblick auf die Bereitschaft zur Veränderung: Die Covid-Pandemie hat in vielen Bereichen wie ein Brandbeschleuniger gewirkt, sodass viele Projekte in Angriff genommen wurden, die sonst wohl noch auf Jahre schubladisiert geblieben wären. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass diese Notwendigkeit zur kontinuierlichen Veränderung gerade auch vor dem Mediensektor nicht Halt macht und wir Ihnen daher nicht ohne Stolz in dieser E&W-Ausgabe einen weiteren Augmented Reality-Schwerpunkt präsentieren können. Sich diesen zu Gemüte zu führen ist allerdings keine Zumutung – versprochen!

Was Sein und was Schein ist, lässt sich also nicht immer zweifelsfrei sagen. Das eine vom anderen unterscheiden zu können, gewinnt für viele Menschen – darunter mich – jedoch zunehmend an Bedeutung. Zumal es auch immer mehr und neue Möglichkeiten zur Überprüfung gibt. Faktoren wie eine ausgewogene Öko-Bilanz entscheiden plötzlich über Kaufabschlüsse. Von der Bereitschaft des Arbeitgebers, für den Arbeitsweg öffentliche Verkehrsmittel zu fördern, hängt mit einem Mal die Zu-/Absage von Bewerbern ab. Das Wissen darum, dass vermeintliche Kleinigkeiten heute sehr schnell existenzbedrohende Folgen haben können, sollte man daher immer vor Augen haben. Oder wie die deutsche Lyrikerin Else Pannek sagte: „Alles hat eine Ursache – nichts ist ohne Wirkung.”

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