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Montag, 29. April 2024
Verhaltenswissenschaftliche Empfehlungen des IHS

Energiekrise – was tun?

Photovoltaik Energiezukunft | Wolfgang Schalko | 25.08.2022 | Downloads | |  Wissen
Die aktuelle Energiekrise verlangt nach einer Änderung unseres täglichen Verhaltens, als Individuen und als Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Höhere Studien (IHS) einen Policy Brief verfasst, der auf Basis verhaltenswissenschaftlicher Forschungserkenntnisse mögliche Maßnahmen aufzeigen soll, die menschliches Verhalten mehr in Richtung Energiesparen lenken können.

In diesem Policy Brief werden verschiedene Maßnahmen zur Verhaltensänderung bezogen auf Energiesparen, Sanierung von Gebäuden, Anschaffung und Errichtung von Technik zur Energiegewinnung vorgeschlagen. Als Rahmenmodell für die Vorstellung der verschiedenen Maßnahmen wird das COM-B Model verwendet. Dieses klassische verhaltenswissenschaftliche Modell beschreibt, dass Verhalten zentral durch drei Faktoren initiiert, aufrechterhalten und verändert wird: Kompetenz (competence), die situativen Gegebenheiten (opportunities) und Motivation (motivation). Genau diese drei Faktoren und entsprechende verhaltenswissenschaftliche Maßnahmen erläutert das IHS – schickt allerdings zwei Vorbemerkungen voraus: Erstens braucht es möglichst passgenaue Lösungen für jeweilige Situationen und Zielgruppen, damit die verhaltenswissenschaftlichen Maßnahmen effektiv sind. Im Fall der Energiekrise bedeutet dies unterschiedliche Maßnahmen für die Land- und Stadtbevölkerung, für ärmere und reichere Haushalte und für Unternehmen. Zweitens gilt es, in einer von Misstrauen gegenüber der Politik und zunehmender Polarisierung zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen geprägten Zeit, für den Erfolg von Maßnahmen die Akzeptanz sicherzustellen, was konkret heißt, dass Entscheidungsträger die Situation und daraus abgeleitete Maßnahmen transparent diskutieren sollten.

Kompetenz

Wie man den Energiekonsum reduzieren kann scheitert oft schon daran, dass wir oftmals gar nicht wissen, wo wir im Alltag besonders viel Energie verbrauchen, und es fehlt uns auch an Wissen für Alternativen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist daher das Vermitteln von Kompetenzen: Das kann über optimierte Informationsbereitstellung, Lernen am Modell und gezieltes Feedback gelingen. 

Die Notwendigkeit und Relevanz der Verhaltensänderung wird durch aktive Ansprache, Personalisierung, individualisierte Informationen und konkrete Darstellung des persönlichen Nutzens erzielt, wobei diese Informationen von einer vertrauenswürdigen Quelle kommen sollten – beispielsweise bei Informationsveranstaltungen der Gemeinde oder der Feuerwehr. Um das konkrete neue Verhalten darzustellen bzw. zu erklären gilt: „Weniger ist mehr“. D.h. Informationen sollten kurz gehalten und häppchenweise serviert werden, z.B. indem Menschen jeden Tag einen Tipp zum Energiesparen bekommen, der sich leicht umsetzen lässt und idealerweise in einer einfachen Sprache und übersichtlichen Formatierung bzw. bildlichen Darstellungen (Symbole, Icons) transportiert wird. Zudem spielt auch der Zeitpunkt der Informationsdarbietung eine entscheidende Rolle: Menschen müssen im entsprechenden Moment empfänglich dafür sein, sie müssen Zeit haben und aufmerksam bzw. ausgeruht sein – Informationen zum Energiespareffekt von verkürztem Duschen sind im Morgenradio oder Abendradio wahrscheinlich wirksamer als zu Mittag, weil viele Menschen ihre Körperpflege am Tagesrand vornehmen und die dargebotene Information unmittelbar umsetzen können.

Häufig sind sich Menschen ihres eigenen Verhaltens gar nicht bewusst. Im Alltag gehen wir unseren Gewohnheiten nach, ohne uns Fragen zu stellen wie „Wie viele Liter warmes Wasser verbrauche ich beim Duschen? Wie viel ist zu viel?“. Hier können sich Feedback- Mechanismen als nützlich erweisen, die Menschen unmittelbar und auf leicht verständliche oder spielerische Weise Rückmeldung über das eigene Verhalten geben. Wie Studien belegen, ist das Feedback ist umso wirksamer, je unmittelbarer es erfolgt.

Situative Gegebenheiten

Situative Gegebenheiten stellen den Kontext dar, innerhalb dessen es Individuen überhaupt möglich ist, energieeffiziente Maßnahmen umzusetzen (regulative Vorgaben, sanierte Gebäude, Technologien) oder die es ihnen erleichtern (Voreinstellungen), sich energieeffizient zu verhalten. Situative Gegebenheiten sollen so ausgestaltet werden, dass das energieeffiziente Verhalten oder der Ausbau erneuerbarer Energien möglichst einfach durchzuführen ist. Denn je einfacher ein Verhalten, desto eher wird es auch gezeigt.

Zur Vereinfachung eines Verhaltens eignen sich Voreinstellungen (engl. defaults), die nachhaltiges Verhalten zum Standard machen. Menschen tendieren zum sogenannten Status-quo-Bias, bei dem der Status quo (z.B. Voreinstellungen am Handy) nicht hinterfragt, sondern beibehalten wird. So kann beispielsweise die Voreinstellung auf „grüne“ Energie beim Neuabschluss eines Stromvertrags Menschen dazu bewegen, aus erneuerbaren Quellen gewonnene Energie zu nutzen. Regulative Vorgaben können das Handeln Einzelner entweder erleichtern oder erschweren. Sanierungsmaßnahmen oder die Installation von erneuerbaren Energieträgern können durch den Abbau bürokratischer Hürden vereinfacht werden. Ein Verbot, Gasheizungen zu installieren oder die Vorgabe, dass Vermieter für ein bestimmtes Niveau etwa bei der Fensterisolation zuständig sind, könnte es Mietern erleichtern, Energie zu sparen. Auch regulative Vorgaben, dass Hausdächer oder Parkplätze innerhalb einer bestimmten Frist einer nachhaltigen Nutzung zugefügt werden müssen, könnte den Ausbau nachhaltiger Energie beschleunigen. Wird beispielsweise die Dachfläche oder der Parkplatz nicht für eine PV-Anlage genutzt, fällt eine Strafzahlung an (ähnlich wie bei nicht bebauten Grundstücken).

Motivation

Motivation ist der „Motor“ menschlichen Verhaltens. Gesetze, Verbote und dazugehörige Kontrollen und Strafen zählen zu den wichtigsten Determinanten für Verhalten. Je mehr Vertrauen die Autoritäten genießen, die Gesetze beschließen und umsetzen und je legitimer die Gesetze wahrgenommen werden, desto eher werden Gesetze befolgt. Für Vertrauen und Legitimität spielen Gerechtigkeitsüberlegungen eine zentrale Rolle. In der aktuellen Energiespardiskussion ist besonders die Verteilungsgerechtigkeit relevant. Die Menschen wollen das Gefühl haben, unabhängig von Einkommen, Vermögen oder Wohnort, Haushalt oder Unternehmen, ihren fairen Beitrag zu leisten. Durch Einrichtung eines Forums (z. B. BürgerInnenrat) könnte es verschiedenen Gruppierungen ermöglicht werden, transparent und wertschätzend über ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Energiesparen und zur Energiegewinnung zu diskutieren. Damit wird das gegenseitige Verständnis und Solidarität gefördert. Erst dann können Gesetze und Regeln etabliert werden, die breit akzeptiert werden.

Finanzielle Kosten und Gewinne, bzw. das Sichtbarmachen von finanziellen Konsequenzen (Preisen) wird als effektive Maßnahme zur Förderung von umweltfreundlichem Verhalten angesehen. Die CO2-Steuer gepaart mit dem Klimabonus und die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe wird als wichtige Maßnahmen gegen den Klimawandel angesehen. Da der Effekt der finanziellen Anreize vom Kontext wie dem Einkommen abhängt, können Wettbewerbe, Gewinnspiele oder nicht-monetäre Belohnungen eine Alternative für direkte finanzielle Anreize sein. 

Energiesparen und speziell Investitionen in Sanierung oder erneuerbare Energien scheitern häufig an einer verzerrten Kosten-Nutzen-Wahrnehmung. Während die aktuellen Kosten (z. B. Investition in Solaranlage) stark im Fokus sind und oft überschätzt werden, wird der Nutzen bzw. die Ersparnis in der Zukunft unterschätzt. Dieser Umstand nennt sich Gegenwartspräferenz (engl. present bias), das heißt, Menschen gewichten die Gegenwart ungleich viel stärker als die Zukunft. Durch die verständliche Darstellung von zukünftigen Kosten und Gewinnen, z. B. durch Kosteneinsparungspfade für einzelne Verhaltensweisen („Was bringt das Kochen mit Kochtopfdeckeln nach einem Jahr?“, „Wie entwickeln sich die Miet-/Betriebskosten nach einer Sanierung?“) können die monetären Vorteile verdeutlicht werden. Wichtig ist, dass die Einheit und Größe für die Personen relevant sind, z. B. in Euro umgerechnet und pro Jahr angezeigt.

Führt ein gewisses Verhalten zu Prestige und einer positiven Reputation, wird es häufiger gezeigt. Die soziale Anerkennung wird als Belohnung erlebt. Viele Menschen definieren sich über Statussymbole, die mit Konsum zusammenhängen: große Autos, teure Urlaube, schicke Kleidung. Es ist „in“, verschwenderisch zu leben und dies darzustellen (z. B. auf Social Media). Angesehene Vorbilder, die Energiesparen und Verzicht üben, sieht man im Alltag hingegen kaum. Würde hingegen ein Mensch für seine energiesparende, langsame Autofahrweise auf Anerkennung aus dem Umfeld stoßen, so würde dieses Verhalten wahrscheinlicher aufrechterhalten und noch weitere Menschen inspirieren.

Das Ansprechen von Motiven kann zu einer Verhaltensänderung überzeugen. Je besser das angesprochene Motiv zu den Werten und Einstellungen und damit dem Selbstbild des Empfängers oder der Empfängerin passt, desto eher erfolgt eine Verhaltensänderung. Energiesparen kann direkt mit Umwelt und Naturschutz in Verbindung gebracht werden. Das Umweltschutz-Motiv wird besonders jene Menschen zum Energiesparen motivieren, die sich schon stark mit Umwelt- und Naturschutz identifizieren. Altruistische, also selbstlose bzw. soziale Motive sind von großer Bedeutung für das Energiesparen. Beispielsweise neigen Personen, die das Wohlbefinden von anderen als wichtig erachten, eher dazu, energieeffiziente Geräte zukaufen. Das Ansprechen von patriotischen Gefühlen könnte auch aktuell viele zum Energiesparen motivieren, wie etwa das Motiv, die heimische Wirtschaft und die dazugehörigen Arbeitsplätze schützen zu wollen. Um mit dem Patriotismus nicht gleichzeitig nationalistische Gefühle (das eigene Land soll anderen Ländern gegenüber bessergestellt sein) zu fördern, sollten die Botschaften eher die Vorteile für oder die Liebe zu Österreich und seiner Bevölkerung ansprechen und nicht die Nachteile für beispielsweise Russland. Ebenso hat sich gezeigt, dass der Verweis auf die historischen Leistungen des Landes oder das Zeigen der eigenen Naturschönheit (z.B. Berge) patriotische Gefühle bei Österreichern auslösen können. Mögliche Botschaften wären: „Wir haben in Österreich schon so viel geschafft – wir sind zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt aufgestiegen, wir werden auch diese Krise meistern“.

Conclusio

Die in diesem Policy Brief vorgestellten Literatur und Maßnahmen sollen als Diskussionsgrundlage und Information für Maßnahmen gegen die Energiekrise dienen und zugleich verdeutlichen, wie breit gefächert das Portfolio möglicher Maßnahmen ist, aus dem sich die Politik, aber auch andere Entscheidungsträger bedienen können. Essenziell ist es, für jene Maßnahmen, die umgesetzt werden sollen, Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen. Das gelingt durch eine breite und wertschätzende Diskussion zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen (beispielsweise zwischen Land und Stadtbevölkerung, Haushalten und Unternehmen, Armen und Vermögenden). Für den Erfolg einer Maßnahme ist auch die kompetente und engagierte Umsetzung zentral, die den Nutzen der Maßnahme für ein gemeinsames Ziel ins Zentrum stellt. Schließlich wäre aus Sicht des IHS eine wissenschaftliche Evaluierung wichtig, um mittelfristig aus der Vielzahl der möglichen Maßnahmen die effektivsten Maßnahmen zu identifizieren.

Den kompletten Policy Brief finden Sie beigefügt als PDF zum Download.

Wie die Verhaltenswissenschaften dabei helfen können, Energie zu sparen, erläutert Co-Autorin Kira Abstiens im folgenden Kurz-Interview:

 

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