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Freitag, 26. April 2024
Auf Schiene

Der Nachteil liebgewonnener Gewohnheiten

Über den Rand | Dominik Schebach | 23.04.2023 | Bilder | |  Meinung
(© ÖBB/Harald Eisenberger) Ich gebe es zu, ich habe mich seit der Einführung des Österreich Tickets zum Bahn-Fan entwickelt. Manchmal schlägt trotzdem die Gewohnheit durch und ich plane die Fahrt zu einem Branchen-Event ganz automatisch per Auto. So auch zuletzt – bis das Schicksal mich doch wieder auf die Schiene brachte. Dabei zeigte sich wieder einmal, es zahlt sich aus, Gewohnheiten regelmäßig zu hinterfragen.

Mattighofen gilt als die Motorrad-Hauptstadt Österreichs. Die KTM-Schmiede im Innviertel ist auch in meinem Bewusstsein dermaßen mit motorisiertem Individualverkehr verbunden, dass mir die Suche nach einer öffentlichen Verkehrsverbindung anfänglich gar nicht in den Sinn kam. Vielmehr hatte ich nach einem Blick auf die Karte ohne weitere Recherche die Anreise mit dem Auto geplant. Dieser Zustand hielt an, bis – zwei Tage vor dem oben angesprochenen Event – meiner Freundin bei einer Fahrt durchs Waldviertel ein Kieselstein in die Windschutzscheibe flog. Der daraus resultierende ständig wachsende Riss im Plexiglas bewog mich dann doch, nochmals nach einer entsprechenden Verbindung zu googlen und siehe da: Es gab nicht nur eine entsprechende Verbindung, diese war auch – meinem Dafürhalten nach – komfortabel und dauerte nicht viel länger.  Der zusätzliche Nutzen durch die gewonnene Arbeitszeit war weiterer ein Bonus.

Ich will hier aber kein Loblied auf das österreichische Eisenbahnwesen singen, sondern mich der Entscheidungsfindung zuwenden bzw. wie stark unsere Entscheidungen durch Gewohnheiten beeinflusst werden – vor allem wenn unsere Gewohnheiten mit einer gewissen Erwartungshaltung verbunden sind. Diese Kombination beschickt auch den Friedhof, auf dem viele unserer guten Vorsätze ruhen. Denn Gewohnheiten sind automatisierte Entscheidungsabläufe, welche sich unter gewissen Bedingungen entwickelt haben, weil sie uns komfortabel, scheinbar zuverlässig und energiesparend durch den Tag leiten. Das Schlüsselwort hier ist „energiesparend“. Unser Gehirn ist täglich für rund ein Fünftel unseres Grundumsatzes verantwortlich. Da wird jede Zusatzbelastung nach Möglichkeit vermieden und viele Entscheidungen unreflektiert vorgenommen.

Wenn wir diese Gewohnheiten unter dem Druck der Ereignisse einmal doch überprüfen, dann stellen wir oft erstaunt fest, dass die ursprünglichen Grundlagen nicht mehr zutreffen. Bis dahin entwickelt unser Gehirn allerdings erstaunliche Beharrungskräfte. Die Redewendung „liebgewonnene Gewohnheit“ in dieser Hinsicht sehr vielsagend. Denn liebgewonnen sagt einmal gar nichts über die Nützlichkeit einer Gewohnheit aus. Da braucht es schon einen ordentlichen Stoß oder in diesem Fall einen Kieselstein, damit unser Entscheidungsprozess aus der üblichen Spur hüpft.

Sind die Beharrungskräfte allerdings einmal überwunden, dann entwickelt das Gerin überraschende Kapazitäten zur Problemlösung. Man könnte auch sagen, unser Gehirn hat einen Hang zum Krisenmanagement. Damit wird zwar der Weg frei für eine frische Entscheidung, aber Vorsicht – auch aus dieser erwächst schnell genug eine neue Gewohnheit.

Bilder
(© ÖBB/Harald Eisenberger)
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