„Wir lernen von unseren Schülern“
Die Berufsschule für Einzelhandel und EDV Kaufleute (EDHV) befindet sich im 22. Wiener Gemeindebezirk. Aktuell gibt es in Wien rund 20.500 Berufsschüler. Deren Ausbildung ist momentan auf 17 Standorte verteilt, einer davon ist die Berufsschule für Einzelhandel und EDV-Kaufleute (EDHV) in der Prinzgasse, im 22. Wiener Gemeindebezirk. E&W war vor Ort und sprach mit Berufsschuldirektorin Eva-Maria Redl über die Herausforderungen bei der Lehrlingsausbildung.Berufsschuldirektorin Eva-Maria Redl führte E&W durch die zahlreichen Räumlichkeiten ihrer Schule, in denen zukünftige Einzelhändler und Einrichtungs- und Elektronikberater ausgebildet werden. Aktuell gibt es 1.200 Schüler, davon 130-134 Schüler in der Einrichtungsberatung. Ein großer Schwerpunkt ist auch die Elektro-und Elektronikberatung mit insgesamt 73 Schülern: „Wir sind hier am Standort sehr bemüht Fachklassen zu führen. Zudem bieten wir verschiedene Or- ganisationsformen an unserer Schule an, z.B. den Jahresunterricht in der Einrichtungsberatung oder auch Sommer- und Winterklassen, da immer mehr Lehrverhältnisse im November, Dezember und Jänner geschlossen wer- den und wir dann mit der Schule im Februar starten, so dass wir die Schüler bestmöglich fördern können“, so Redl.
Redl ist mit der Schule eng verbunden. Seit 32 Jahren ist sie an der Schule, davon 20 Jahre als Direktorin. In zwei Jahrzehnten ist natürlich kein Stein auf den anderen geblieben: „Es hat sich alles verändert! Es bedarf einer unheimlichen Kraftanstrengung und einer unheimlichen Zeitinvestition, seitens der Leitung wirklich die Dinge zu machen, für die ich mich seinerzeit beworben habe. Die Bürokratie nimmt mittlerweile Ausmaße an, die nicht mehr diskutabel sind. Man verlagert immer mehr Arbeit und Aufgaben an die Schulen, ohne die notwenigen Ressourcen bereitzustellen.“
Wertvolle Unterstützung kommt hier von der Wirtschaftskammer. „Das Problem ist aber, dass wir hier den Schulerhalter ins Boot holen müssen. Es wäre kein Problem, wenn man uns hier eine Küche hinstellen würde oder Wohnzimmer. Doch es gibt etliche Hürden und wir dürfen keine baulichen Veränderungen durchführen. Zudem haben wir die Räumlichkeiten nicht.“
Massiv verändert
Auch die Branche selbst habe sich in den vergangenen Jahren massiv verändert: „Die Großfläche hat alles übernommen, auch im Elektronikbereich. Kleine Elektrohändler sind heute schwierig zu finden, weil es auch in die- sem Bereich einen großen Marktführer gibt. Gerade mit den wirtschaftlichen Unwegsamkeiten, die in den vergangenen Jahren auf uns hereingebrochen sind, haben natürlich viele Klein-und Mittelbetriebe gesagt: Es geht nicht mehr.“ Dem kann Berufsschullehrerin Marlene Hronicek nur zustimmen: „Die Corona- Zeit war eine Zeit, wo viele zuhause waren und viele Leute in die Baumärkte und Möbel- häuser gerannt sind. Das dürfte jetzt nur mehr zeitweise nachwirken, weil man sich ja nicht ständig neu einrichtet. Aktuell ist also wieder weniger los und teilweise wird auch Personal wieder abgebaut.“
Hohe Fluktuation
Den Fachkräftemangel in der Branche bekommt natürlich auch die Schule zu spüren: „Alle Unternehmen halten den Mitarbei- terstab aus Kostengründen gering, d.h. es gibt kaum Puffer zur Abfederung von Spitzen, sei es Krankheit, Grippewelle oder Urlaub. Hier muss man aus meiner Sicht eine Werbeoffensive oder Marketingstrategie entwickeln, die genau auf dieses Problemfeld hindeutet. Es wird viel zu wenig auf die Serviceleistungen des Handels hingewiesen. Das fängt mit der Beratung an und hört mit der Lieferung und Montage auf“, so Redl.
In dieselbe Kerbe schlägt Hronicek: „Der Handel müsste meiner Meinung nach umdenken und sich fragen: Macht das Sinn so viel in den Online-Handel zu stecken? Stattdessen wäre es sinnvoller auf die Expertise setzen, die man hat, gerade bei Produkten, wo man als Konsument auch viel falsch machen kann, wenn man sich nicht beraten lässt.“
Das kann Tobias Smegal, Lehrling beim XXX- Lutz nur unterschreiben. „Das Problem ist, dass wir einen irrsinnigen Fachkräftemangel am Markt haben. Jede Firma wirbt mit Benefits, wie z.B. Work-Life Balance oder Homeof-fice Möglichkeiten, aber das gibt es im Einzelhandel nicht. Es muss die Work-Life-Balance verbessert werden, sei es mit Mitarbeiter- Events oder die Möglichkeit zur Gleitzeit. Solche Sachen würden der Branche, gerade den Lehrlingen weiterhelfen.“
Den Lehrlingsmangel bemerkt auch Redl: „Die Prognosen für das kommende Wintersemester sind wahnsinnig schwierig. Im Sep- tember war ein Einbruch merkbar. Wir hatten immer drei erste Klassen und haben heuer zum ersten Mal nur mehr zwei. Dahinter stecken vielfältige Ursachen. Zum einen hört man von vielen Ausbildungsbetrieben, dass es sehr schwierig ist, passende Lehrlinge zu finden und sich sehr viele junge Menschen nicht mehr für den Handel oder Einzelhandel interessieren und andere Prioritäten haben. Und zum anderen liegt es auch sicherlich an den Arbeitszeitmodellen, die es in den Lehrbetrieben gibt“, so Redl.
Neues Bild
Aufgrund der Inflation habe sich in den vergangenen Monaten auch das Kaufverhalten der Kunden sehr verändert: „Ich bin jetzt seit drei Jahren in der Branche und ich habe schon sehr stark gemerkt, dass wenn ich in der Vergangenheit eine Küche verkauft habe, war das wegen meiner Beratung. Seit Jänner dieses Jahres geht es nur noch um den Preis. Egal wie gut ich berate, wenn der Preis nicht stimmt, will der Kunde nicht kaufen.“ Die Schule ist für Smegal daher eine willkommene Abwechslung zur Arbeit: „Ich liebe es Sachen zu lernen und deswegen genieße ich die Zeit in der Berufsschule, weil ich meinen Kopf für neue Sachen offenhalten kann. Es ist immer ein neues Thema oder eine neue Herausforderung, die ich dankend annehme.“
Die Zeit in der Berufsschule hat das Bild des Auszubildenden von Lehrern komplett verändert, wie er erzählt: „Das Lehrpersonal ist hier absolut fachkundig. Ich bin wirklich erstaunt, dass unter den Lehrern sehr gute Pädagogen sind, die auf einen schauen, sich die Probleme anhören und mit dir versuchen, sie zu lösen und ich glaube, das ist der Grund, warum wir hier in der Berufsschule eine sehr gute Bildung genießen dürfen.“
Berufsfähig
Das freut Redl natürlich sehr. Denn die richtige Ausbildung der Schüler hat für sie oberste Priorität: „Unsere wichtigste Aufgabe ist unsere Schüler berufsfähig zu machen. Wir versuchen als Schule den Ausbildungserfolg unserer Schüler zu begleiten, zu unterstützen, zu fordern und zu fördern. Es ist kein Geheimnis, dass die Berufsschüler eine sehr heterogene Gruppe sind: Wir haben alles, von AHS- Maturanten bis hin zu jungen Menschen, die aus irgendwelchen biografischen Gründen keinen Pflichtschulabschluss haben. Unsere Aufgabe ist hier alle mitzunehmen. Dabei hilft uns die Schulautonomie. Wir versuchen, dass keine Klasse mehr als 16 Schüler hat, damit wir hier in relativ kleinen Gruppen wirklich gezielt auf die jungen Menschen eingehen können.“
Um dennoch immer up to date zu bleiben, macht das Lehrpersonal laufend Fortbildungen: „Wir haben zudem einen großen Vorteil: Wir lernen von unseren Schülern und Schülerinnen und wenn man als Lehrperson dazu steht, dass die Schüler, gerade weil sie im Unternehmen stehen und eine Expertise haben, was neue Produkte und neue Technologien anbelangt und hier ein sehr gutes partnerschaftliches Miteinander hat, dann funktioniert das hervorragend.“
Für die Zukunft wünscht sich Redl, dass die Lehrlinge mehr in den Fokus der Bildungs- und der Wirtschaftspolitik rücken: „Berufsschulen müssen als eigenständiger Schultyp wahrgenommen und auch so behandelt werden. Wir haben hier täglich zwischen. 350 und 400 Schüler. Dennoch vergisst man im gesamten Wirtschafts- und Bildungsbereich sehr gerne auf uns. Unsere Schüler haben andere Bedürfnisse als Vollzeitschüler. Das muss umgehend in den Fokus gerückt werden.“