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Donnerstag, 2. Mai 2024
Das muss nicht als Desaster enden

Keine Zeit zu shoppen?

Über den Rand | Stefanie Bruckbauer | 26.11.2023 | Bilder | |  Meinung
Ich kenne kaum Menschen, die nicht sagen, dass ihnen für dieses und jenes die Zeit fehlt. Unsere Gesellschaft steht unter einem eklatanten Zeitstress. Eine aktuelle Studie des GDI bestätigt das und meint obendrein, dass eine große Shoppingunlust damit einhergeht. Doch was würde es bedeuten, wenn ein Teil der Menschen plötzlich nicht mehr shoppen ginge?

Zunächst einmal muss ich die Begrifflichkeiten klarstellen: Man geht „einkaufen“ und man geht „shoppen“ und das ist keineswegs dasselbe. Laut Definition ist Einkaufen als Versorgungskonsum und als Erwerb lebensnotwendiger Güter zu verstehen, bei dem die Kaufentscheidung aufgrund von rationalen Entscheidungsprozessen erfolgt. Shoppen hingegen ist etwas anderes. Die US-amerikanische Schauspielerin Bo Derek sagte einmal: „Whoever said money can’t buy happiness simply didn’t know where to go shopping” und brachte damit, wie ich finde, recht gut zum Ausdruck, dass Shopping ein Erlebnis ist und Freude bereitet. Shopping ist zu einer reinen Freizeitbeschäftigung geworden, die längst über den reinen Versorgungszweck hinaus geht. Shopping bereitet dem Käufer Spaß, spiegelt die Erfüllung unbewusster Träume und Wünsche wider und befreit ihn vom Alltag.

Denkanst

Rund ums Shoppen veröffentlichte das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) vor kurzem die Ergebnisse einer interessanten Studie, die mir zu denken gaben. Demnach leidet unsere Gesellschaft unter einem eklatanten Zeitstress, dem die einzelnen Individuen immer stärker ausgesetzt sind, mit dem Resultat, dass die Konsumenten keine Zeit und Lust mehr haben zu shoppen. Zeit sparen sei für die Kunden wichtiger als Geld sparen. „Shopping ist kein Freizeitvergnügen mehr. Bummeln ist out“, meinen die GDI-Experten, die die Studie zwar in der Schweiz durchführten, aber davon ausgehen, dass sich die Schweizer nicht grundlegend von den Deutschen und Österreichern unterscheiden und die Studienergebnisse somit auch für deren Handelslandschaft relevant seien. Wo auch immer – den Handel könnte das in eine fundamentale Krise stürzen.

Immer noch schlimmer

Seit Jahren durchlebt der Handel turbulente Zeiten. Nach Lieferkettenengpässen, steigenden Rohstoffpreisen und Fachkräftemangel stellt nun also ein weiterer Faktor den Handel vor eine große Herausforderung: Zeit. Sie wird bei Konsumentscheidungen zur kritischen Ressource. 30% der von GDI Befragten stehen häufig oder fast immer unter Zeitstress und die wertvolle Zeit, die ihnen bleibt, wollen Konsumenten immer weniger mit Shoppen verbringen. Die Ergebnisse der GDI-Studie deuten darauf hin, dass sich die Einstellung zum Einkaufen gewandelt hat. Es wird nicht mehr als angenehme Freizeitbeschäftigung, sondern als „mühsame Tätigkeit“ wahrgenommen.

Den meisten Menschen macht es weder Spaß, noch erleben sie Einkaufen als sinnstiftend. Laut Studie zählt Shopping sogar zu den unbeliebtesten Freizeitaktivitäten. Es ist fast so unbeliebt wie Hausarbeit und weniger beliebt als bezahlte Arbeit. Mehr als die Hälfte der Befragten nutzt ihre Zeit lieber anders, als einzukaufen. Jeder Vierte würde am liebsten gar keine Zeit mit Einkaufen verbringen.

Das GDI hat die Zeit, die für das Einkaufen aufgewendet wird, genau beleuchtet. Demnach hat die durchschnittliche Einkaufszeit (Minuten pro Woche) in den vergangenen 25 Jahren kontinuierlich abgenommen, nämlich von 139 Minuten 1997 auf 120 Minuten 2020 und 115 Minuten 2023. Insgesamt ist das ein Rückgang von etwa 17%. Und die wöchentliche Einkaufszeit wird in Zukunft vermutlich weiter sinken. Fast ein Fünftel aller Befragten will in den kommenden 12 Monaten seine Einkaufszeit nämlich weiter reduzieren. Für 85% der Menschen kommt es vor allem auf eines an: den Einkauf so schnell und effizient wie möglich hinter sich zu bringen. Nur rund 3% wünschen sich mehr Zeit fürs Einkaufen und gerade mal 15% gehen noch bummeln.

Auch für unsere Branche wäre das problematisch. Klar braucht man Elektrogeräte zuhause, um den Alltag so komfortabel wie möglich bewältigen zu können. Doch nicht alle Geräte, die der EFH verkauft sind zwingend notwendig. Ich kenne den Prozentsatz jener Geräte nicht, die man braucht bzw. nicht unbedingt braucht – dabei wäre das wirklich interessant zu wissen – aber wie auch immer: Gingen die Leute weniger shoppen, wäre auch unsere Branche betroffen.

Gedankenexperiment

Der kanadische Umweltjournalist James B. MacKinnon startete (unabhängig von der GDI-Studie, aber passend dazu) ein Gedankenexperiment. Er stellte sich die Frage, was passieren würde, wenn alle Menschen weltweit plötzlich 25% weniger einkauften, und veröffentlichte seine Erkenntnisse in dem Buch „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen“.

Wir leben alle in einer Konsumgesellschaft. Unsere Wirtschaft basiert auf Konsum. Wenn nun plötzlich 25% nicht mehr shoppen würden, wäre das für die Wirtschaft, wie sie momentan strukturiert ist, eine gewaltige Herausforderung und gefährlich. „Menschen würden ihre Jobs verlieren, Unternehmen gingen pleite und einige Wirtschaftssysteme würden kollabieren“, sagt MacKinnon, laut dem sich aber auch abseits der Wirtschaftssysteme einiges ändern würde, wenn der Konsum in einer Gesellschaft seine hohe Priorität verlöre – und zwar zum Positiven: „Menschen würden ihren Erfindergeist wieder neu entdecken“, führt er als Beispiel an.

Und die Veränderungen würden noch weiter greifen, wenn wir uns von der Konsumkultur mit ihrem stetigen Wachstum abwenden – „wir müssten fast alles neu erfinden“ meint MacKinnon. Wir müssten andere, langlebigere Produkte entwerfen. Wir müssten unsere Einstellung zur Arbeit ändern. Vermögen müsste vielleicht umverteilt werden. Auch unsere Werte, unsere Beziehung zur Zeit und wie wir sie nutzen, gelte es zu hinterfragen. Wäre der Konsum in unserer Gesellschaft nicht mehr so wichtig, dann würden die Menschen wahrscheinlich mehr Zeit in die Beziehungen zu anderen investieren. Sie würden Zeit mit Familie und Freunden verbringen, die Natur genießen, sich um ihre Gesundheit kümmern oder sich ehrenamtlich engagieren. Es bräuchte Veränderungen in allen Bereichen des Lebens. Das geht aber nicht über Nacht, das dauert. MacKinnon meint: „Wir könnten schrittweise eine Welt gestalten, in der weniger Konsum funktioniert. Dieses Szenario muss nicht als Desaster enden.“

Wind in den Segeln

Mit dem letzten Satz bläst MacKinnon Wind in die Segel von Konsumgegnern, aber auch von refurbed. Im Interview mit E&W (2022) schilderte einer der Gründer und Geschäftsführer, Peter Windischhofer: „Wir bewegen uns als Gesellschaft leider in die falsche Richtung. Immer mehr Menschen kaufen immer mehr Produkte und das führt zu vielen Problemen. Das größte davon ist, dass wir den Klimawandel dadurch anheizen. Wir wissen, dass der Konsum einer der größten Treiber der Klimaerwärmung ist. Über 60% der globalen CO2-Emissionen sind auf den Konsum zurückzuführen. Und bis zu 80% des globalen Ressourcenverbrauchs gehen ebenso auf den Konsum von uns Menschen zurück. Angesicht solcher Zahlen sollte klar sein, dass wir etwas ändern müssen.“ Dabei wäre es allerdings illusorisch zu glauben, dass die Leute weniger konsumieren werden, wie Windischhofer weiter ausführte. „Aber wir sind überzeugt, dass dieser Konsum nachhaltiger werden muss. Wir müssen ändern was wir wie kaufen.“ refurbed möchte den Konsum nicht abschaffen, aber auf Basis einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft nachhaltiger machen.

Der letzte Konsument

Der letzte Konsument auf der Wiener Mariahilfer Strasse.

Ende November startete refurbed übrigens eine auffallende Aktion: Auf der Wiener Mariahilfer Strasse („einem der Hotspots des Massenkonsums“, wie refurbed sagt) wurde „Der letzte Konsument“ dargestellt, eine rund zwei Meter große, goldene Figur, die mit hängendem Kopf Einkaufssackerln hält. Dieses vom Wiener Künstler Thomas Waidhofer geschaffene Mahnmal sollte eindrücklich aufzeigen, was durch unseren derzeitigen Lebensstil auf dem Spiel steht: „Unser eigenes Überleben“, wie refurbed erklärt.

Der Zeitpunkt der Aufstellung am 24. November war nicht zufällig gewählt. Es war Black Friday, der Höhepunkt des vorweihnachtlichen Rabattmassakers oder der, wie refurbed sagt, „unsinnigen Materialschlacht“, und somit ein guter Zeitpunkt, so viele Shoppingwütige wie möglich zu erreichen. Ich befürchte allerdings, dass der Großteil der Konsumenten einfach daran vorbeigehastet ist und dieses Mahnmal gar nicht wahrgenommen hat. Einige werden gedacht haben, dass es sich um eine „lebendige Statue“ handelt, die für eine kleine Spende regungslos verharrt, und desinteressiert weiter gegangen sein. Wiederum andere werden sich wahrscheinlich belustigt rundherum postiert und Selfies gemacht haben, ohne zu realisieren, womit sie sich da eigentlich ablichteten. Aber ganz vereinzelt wird vielleicht doch manch einer davor stehen geblieben sein und tatsächlich reflektiert haben. Er wird sich gefragt haben, was das Kunstwerk symbolisiert und was uns damit mitgeteilt werden soll; er wird in sich gegangen sein und sein Tun hinterfragt haben – und auch wenn es nur sehr wenige waren – es ist ein Anfang … und zwar nicht vom Ende des Shoppings, sondern von einem bewussteren, gesünderen Einkaufsverhalten.

 

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Epilog

Die eingangs erwähnten Experten des Gottlieb Duttweiler Institutes haben übrigens nicht nur festgestellt, dass weniger geshoppt wird, sie haben auch vier Punkte ermittelt, an die sich der Handel halten könnte, damit das Shoppen für die Kunden wieder attraktiver wird. Sie sagen: „Der Handel muss schneller, näher, schöner und sinnvoller werden.“ Der Handel müsse den Menschen Zeit zurückgeben und zum Zeitgestalter seiner Kunden werden. Unternehmen, die heute finanziell erfolgreich sein wollen, müssen ihren Kunden schnelles, effizientes Einkaufen ermöglichen und dafür sorgen, dass die investierte Zeit als angenehm und sinnvoll empfunden wird.

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