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Donnerstag, 2. Mai 2024
Unscheinbar und doch so wichtig

Eine Art Hass-Liebe

Über den Rand | Stefanie Bruckbauer | 31.03.2024 | Bilder | |  Meinung
Es ist ein kurzer, relativ unscheinbarer, häufig leicht gebogener Strich in der Textlandschaft, der doch so viel bewirken kann. Er gibt Sätzen Struktur, macht Texte leichter lesbar und manchmal hängt von ihm sogar die komplette Aussage eines Satzes ab – der Beistrich. Mit ihm verbindet mich eine Art Hass-Liebe, denn zum Einen finde ich ihn faszinierend, auf der anderen Seite kann ich so gar nicht mit ihm umgehen, wobei ich da nicht die einzige bin ...

Ich bin im Alter von 16 Jahren in Deutsch durchgefallen. Soll heißen, dass ich wegen meiner Leistungen in Deutsch die Klasse wiederholen musste. Irgendwie kurios, denn immerhin verdiene ich mein Geld heute mit Schreiben. Doch glücklicherweise geht es in meinem Job um Inhalte und nicht um Grammatik, wobei es in meinem Fall ja nur um einen bestimmten Teil der Grammatik geht, genauer gesagt um Satzzeichen, konkret um Beistriche, mit denen mich eine Art Hass-Liebe verbindet.

Kurzer geschichtlicher Exkurs

Der Begriff „Komma“ leitet sich vom Altgriechischen κóμμα (kómma) für Einschnitt, Abschnitt ab. Eingeführt wurde das Komma im 15. Jahrhundert von dem venezianischen Typografen und Drucker Aldus Manutius (1449–1515), der das Komma und weitere Satzzeichen aus „Virgeln“ entwickelte. „Virgeln“, das sind Schrägstriche, die früher zur Gliederung von Sätzen verwendet wurden – so wie eben heute das Komma.

Heute wird das Komma als Satzzeichen (Geschriebenes) und als Trennzeichen (Zahlen) verwendet. Interessant ist: In Österreich und in Südtirol wird die Bezeichnung „Komma“ eigentlich fast nur bei Zahlen verwendet. Als Bezeichnung für das Satzzeichen hat sich hierzulande das Wort „Beistrich“ etabliert. Dabei stammt der Begriff „Beistrich“ gar nicht von einem Österreicher, sondern von dem Deutschen Dichter Philipp von Zesen, der den altgriechischen Begriff „Komma“ vermutlich eindeutschen wollte. Das Wort wurde bei großen Schriftstellern wie Bertolt Brecht und auch in älteren Ausgaben des Duden verwendet. Warum der gute alte Beistrich in Deutschland heute dennoch fast durchgängig „Komma“ genannt wird, weiß keiner.

Das Dilemma

Ich finde Beistriche im Grunde richtig toll! Als bekennende Sprach-Ästhetin (ich hab eine enorme Freude mit schönen Worten und Formulierungen), weiß ich die Möglichkeit sehr zu schätzen, meine Gedanken durch dieses kleine, unscheinbare Satzzeichen in eine lesefreundliche Form bringen zu können. Beistriche geben Sätzen eine Struktur und machen das Geschriebene verständlich. Ich habe mir die Beistrichregeln der deutschen Grammatik allerdings nie gemerkt – jetzt Mal abgesehen von Aufzählungen. Dass diese durch Beistriche getrennt werden, liegt auf der Hand. Und auch, dass vor einem „dass“ ein Komma hingehört, ist mir klar. Geht es dann allerdings in die Tiefe der Materie, um verschiedene Satzarten, Einfügungen, Präpositionen oder gar Infinitivgruppen, dann ist guter Rat gefragt oder anders formuliert: dann steige ich komplett aus (wussten Sie, dass der Duden mehr als 30 Regeln für die korrekte Verwendung des Kommas formuliert hat?). Es gibt so Dinge, die will mein Gehirn einfach nicht behalten. Da kann ich tun (zB. auswendig lernen) und probieren was ich will (ich habe damals sogar verschiedene Merktechniken wie Reime, Melodien, Eselsbrücken oder Chunking versucht). Also setze ich Beistriche einfach nach Gefühl. Dort, wo ich glaube, das einer hingehört, deponiere ich ihn einfach, und meiner Meinung nach platziere ich die kleinen Stricherln immer richtig. Meine Deutschlehrerin im Gymnasium war da allerdings anderer Meinung und nachdem ich immer elendslange Aufsätze und Schularbeiten schrieb (viel mehr als gefordert), häuften sich dementsprechend die (Beistrich-)Fehler und ab einer bestimmten Menge an Fehlern (damals waren es insgesamt acht), gab es einfach ein „Nicht genügend“ – in meinem Fall ein paar Mal zu oft, was mich schließlich wie erwähnt ein ganzes Schuljahr kostete.

Das Interessante ist: Obwohl ich selbst die Beistrich-Regeln nicht beherrsche, fällt mir oft auf, wenn irgendwo ein Komma falsch oder gar nicht gesetzt wurde. Ob in Büchern, Speisekarten, auf Werbeplakaten oder wie zuletzt in einem Artikel einer großen Tageszeitung, wo stand: „gekommen um zu bleiben.“ Mich wundert, dass in einer Überschrift, die lediglich vier Wörter umfasst, ein derart grobfahrlässiger Kommafehler passieren kann, der weder dem Autor noch dem Lektorat aufgefallen ist. (Das spürt man doch beim Lesen, dass da etwas fehlt!!! Sie sehen das jetzt klarerweise nicht, aber sogar meinem Microsoft Word, in dem ich diesen Text vorschreibe, stößt diese Schreibweise auf. Es reagiert mit doppelt blau Unterstrichenem und hektisch wirkenden roten Wellenlinien). Dabei ist dieses Beispiel gar nicht so gravierend (es outet den Schreiber maximal als Kommabanause), weil die Aussage sowohl mit als auch ohne Komma unmissverständlich ist. Da gibt es ganz andere Fälle von falsch gesetzten Kommas (oder Kommata? Der Duden sagt, beides ist möglich. Nur „Kommen“ geht nicht 🙂 Falls Sie sich unsicher sind, was die Mehrzahl angeht, sagen Sie – gemäß dem Motto der Recheis-Werbung – einfach „Beistriche“ 😉 Aber egal, zurück zum Thema …). Es gibt also Fälle, bei denen ein Beistrich, je nachdem wie und ob er gesetzt wurde, die Bedeutung des Satzes völlig verändert.

Zum Beispiel

  • Wie empfehlen ihm, zu folgen.
  • Wir empfehlen, ihm zu folgen.

Oder:

  • Viel Ahnung hat sie nicht, aber ihre Eltern.
  • Viel Ahnung hat sie, nicht aber ihre Eltern.

Oder:

  • Der Mann sagt, die Frau ist untreu.
  • Der Mann, sagt die Frau, ist untreu.

Oder:

  • Er will sie nicht.
  • Er will, sie nicht.

Und es gibt erstaunlich viele Beispiele, wo Beistriche quasi über Leben und Tod entscheiden:

  • Ich mag meine Familie, kochen und Tiere.
  • Ich mag meine Familie kochen und Tiere.
  • Er unterschrieb sein Urteil, nicht hängen!
  • Er unterschrieb sein Urteil nicht, hängen!
  • Komm, wir essen, Opa!
  • Komm, wir essen Opa!

Regeln? Was geht’s mich an?

Auch wenn ich (wie nun schon ausführlich erläutert) das Setzen von Beistrichen an der richtigen Stelle nicht wirklich kann, bemühe ich mich wenigstens. In der heutigen Insta-Facegram-Gesellschaft scheint das nicht so zu sein. Das Komma wird immer weniger wertgeschätzt, seine Wichtigkeit abgetan, und mir kommt vor, als würden vor allem die jungen Leute die Funktion des Beistriches völlig ignorieren und diesen höchstens als dekoratives Element nutzen, das (wenn überhaupt) ohne jegliches Sprachgefühl nach Lust und Laune irgendwo hin platziert wird. So oft geht er in Sätzen ab, umgekehrt taucht er an manchen Stellen auf, wo er so überhaupt nicht hingehört. Beistrichregeln? Ja, schon mal gehört. Aber was geht‘s mich an? Werden Satzzeichen in der Schule nicht mehr gelehrt? Braucht man Beistriche auf Snapchat, WhatsApp, Facebook & Co. halt einfach nicht? (Im Gegensatz zu Rufzeichen! Die werden heute in Massen gesetzt, und wo früher – um etwas zu betonen – vielleicht drei gereicht hätten, braucht es heute Unmengen mehr!!!!!!!!!) Warum auch immer, in Sachen Schreibkompetenzen liegt das Komma mittlerweile im Koma. Und vielleicht ist es ja bald ganz weg …

Doch bevor das passiert, habe ich noch etwas für Sie. Ich stelle Ihnen nun dieselbe Frage, die Konrad Duden (der Mann hinter dem großen Nachschlagewerk der deutschen Sprache) einst einem Justizrat stellte: „Wissen Sie einen korrekten Satz, der mit sechsmal ‚die‘ hintereinander beginnt?“ Sie mögen einen solchen Satz – wie auch damals besagter Justizrat – für völlig unmöglich erachten und weil Sie sich so sicher sind, vielleicht sogar eine Wette eingehen (wie der Justizrat, der damals um 50 Flaschen Wein wettete), aber lassen Sie sich eines Besseren belehren:
„Die, die die, die die Dietriche erfunden haben, verdammen, tun Unrecht.“ 🙂

Als ich diesen Satz zum ersten Mal las, dachte ich „so ein Schmarrn, die wollen mich häkerln.“ Falls auch SIE so denken, lesen Sie den Satz noch Mal und machen Sie bei jedem Beistrich bewusst eine Gedankenpause. Falls der Groschen dann noch immer nicht gefallen ist, ersetzen Sie zusätzlich das erste und das dritte „die“ durch „diejenigen“ – dann sollte es klappen. Verstehen Sie jetzt, warum mich Beistriche so faszinieren? 🙂

Nachtrag

Und zum Schluss noch eine witzige Episode am Rande (es handelt sich um einen Netzfund – ob wahr oder falsch, kann ich leider nicht sagen): In den 1990er-Jahren hat ein fehlender Beistrich eine österreichische Versicherungsgesellschaft 1,8 Millionen Schilling gekostet. In einer Polizze hieß es damals nämlich: „Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht aber als Unfallfolge versichert“. Nun hatte ein Versicherter das Pech, beim Sport von einem Ball so hart an der Brust getroffen zu werden, dass er davon einen Herzinfarkt erlitt, und er forderte von seiner Versicherung Geld. Doch diese wollte nicht zahlen, meinte, ein Herzinfarkt wäre nur als Unfallursache, aber nicht als Unfallfolge versichert. Der Mann ging daraufhin vor Gericht – und bekam angeblich Recht. Denn der Richter erkannte, dass im betreffenden Satz ein Beistrich fehlte, wodurch der Inhalt der Aussage nicht eindeutig war: „Herzinfarkt ist als Unfallursache, nicht aber als Unfallfolge versichert“ bedeutet halt nun mal das exakte Gegenteil von „Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht, aber als Unfallfolge versichert.“

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