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Freitag, 26. April 2024
Haben Sie auch eine Macke?

Der ganz normale Wahnsinn

Hintergrund | Stefanie Bruckbauer | 24.04.2022 | Bilder | |  Meinung
Ich muss echt aufpassen, dass sich das nicht zu einer ausgewachsenen Zwangsneurose entwickelt. Ich muss echt aufpassen, dass sich das nicht zu einer ausgewachsenen Zwangsneurose entwickelt. Muss die Weckzeit bei Ihnen mathematisch korrekt sein? Essen Sie ausschließlich quadratisches Brot oder gehen am liebsten links neben jemandem und versuchen dabei das Betreten von Fugen zu vermeiden? Keine Sorge, das ist ganz „normal“. Oder anders formuliert: Jeder hat so seine Spleens. Der eine mehr, der andere weniger.

Letztens las ich einen Artikel über Ticks und Spleens. Davon angeregt, überlegte ich, welche (oft seltsamen) Angewohnheiten ich so an den Tag lege. Überraschenderweise war die Liste recht lang.

So versuche ich es beispielsweise zu vermeiden, Türklinken und – Griffe anzugreifen, die auch Fremde angegriffen haben (könnten). In Zeiten einer Pandemie klingt das ja gar nicht so seltsam, ich hatte diesen Tick jedoch schon lange vor Corona. Mit graust einfach unendlich vor dem Gedanken, wo andere Leute schon überall mit ihren Händen waren, bevor sie diese Türklinke angegriffen haben, die ich nun berühren muss, um irgendwo reinzukommen. Also ziehe ich den Ärmel meines Oberteils einfach so weit runter, dass ich ihn schützend zwischen Türgriff und meine Hand legen kann. Habe ich kein langärmeliges Oberteil an, finde ich irgendetwas anderes, um nicht direkt drauf greifen zu müssen. Habe ich nichts zur Hand, muss auch schon Mal mein Ellenbogen herhalten. Bei diesem – wie ich finde meinem größten – Tick, muss ich glaube ich aufpassen, dass er sich nicht zur ausgewachsenen Zwangsneurose entwickelt. Ich überlege mittlerweile nämlich bei fast jeder Türklinke, die sich außerhalb meines Zuhauses befindet, ob ich sie bedenkenlos angreifen kann oder nicht.

Ein weiterer Spleen betrifft den Haushalt. Ich schlichte das Besteck nämlich immer „sortenrein“ in die Besteckschublade des Geschirrspülers – und an der selben Stelle. Also die Messer zu den Messern, die links hinten liegen, und die Kaffeelöffel zu den Kaffeelöffeln, die immer vorne rechts liegen, etc … Verirrt sich ein Besteckteil einmal an die falsche Stelle, wird es umgeschlichtet. Das mag ich nämlich gar nicht. Ich bin mir nicht sicher: Ist das ein Tick? Oder ist das einfach nur praktisches Denken? Weil sich das Besteck natürlich viel schneller ausräumen lässt, wenn alles beisammen liegt.

Apropos Geschirrspüler. Eigentlich ist das Geschirrspülereinräumen Angelegenheit meines Lebensgefährten. Er bringt ein gefühltes Drittel mehr Geschirr in den Spüler als ich, er ist ein wahrer Schlichtmeister. Wenn ich den Geschirrspüler einräume und ihn für voll befinde, dann schlichtet mein Liebster noch einmal drüber und plötzlich ist das Gerät halb leer … Auf jeden Fall macht er das sehr gut, aber das wollte ich Ihnen eigentlich gar nicht erzählen, sondern es geht darum, dass er jedes Mal – ohne Ausnahme – ein Stück nicht einräumt. Jedes Mail bleibt ein Häferl, ein Glas, ein Schöpflöffel, was auch immer, heraußen stehen und findet den Weg nicht in den Spüler. Ich frage mich jedes Mal: Sieht er es nicht? Möchte er ein Statement setzen? Glaubt er, dass er das Teil in Kürze nochmal braucht? Warum? Wenn ich ihn darauf anspreche, warum er jedes Mal ein Geschirrteil nicht einräumt, sagt er: „Das kann ich ja später auch noch machen …“

Ich habe die Uhren im Schlafzimmer und im Badezimmer vorgestellt. Allerdings nicht alle Uhren auf die selbe Zeit, sondern jede anders.

Apropos mein Liebster – mit folgendem Spleen mache ich ihn wahnsinnig. Ich habe nämlich die Uhren im Schlafzimmer und im Badezimmer vorgestellt. Allerdings nicht alle Uhren auf die selbe Zeit, sondern jede anders. Die im Schlafzimmer geht 10 Minuten vor und die im Badezimmer um 12 Minuten. Der Grund? Eigentlich ganz logisch: Wenn ich in der Früh schlaftrunken aufwache, schreckt es mich beim Blick auf den Wecker, weil ich denke, dass es schon so spät ist, doch dann komme ich drauf, dass es eh erst 10 Minuten früher ist.

Oder wenn ich dringend weg und vorher noch ins Bad muss: Der erste Blick auf die Uhr stresst mich, doch dann freue ich mich, weil ich ja noch 12 Minuten habe. Mein Partner versteht das überhaupt nicht. Er sagt: „Wenn ich ja doch eh weiß, dass die Uhren vorgehen, kann man doch nicht darauf reinfallen, dass es später ist.“ Theoretisch hat er recht. Deswegen habe ich einmal beide Uhren auf die korrekte Zeit eingestellt. Zwei Tage hielt ich es aus. Dann habe ich mich so unwohl gefühlt und vor allem so verunsichert, dass ich die Uhren wieder vorgestellt habe – um 10 bzw. 12 Minuten. Wie es sich gehört.

Als Schulkind habe ich mir den Wecker übrigens eine Zeitlang mitten in der Nacht gestellt. Und wenn er mich dann um 3 Uhr 30 aus dem Schlaf gerissen hat, habe ich mich gefreut, dass ich noch drei Stunden schlafen kann. Das habe ich mir zum Glück bald wieder abgewöhnt. (Und auch mein Lebensgefährte ist sehr früh darüber.)

Beim Einkaufen nehme ich nie das erste Stück aus dem Regal. Es muss immer mindestens das zweite oder dritte sein, oft auch ein noch weiter hinten liegendes. Ich weiß nicht genau warum ich das mache, habe aber eine Vermutung: Im Lebensmittelhandel gehe ich davon aus, dass die weiter hinten liegenden Packungen frischer sind. Im sonstigen Handel möchte ich einfach nichts erwischen, was angefummelt ist oder sogar schon probehalber aufgemacht wurde.

Wenn ich meine Schuhe schnell ausziehe, weil ich es eilig habe, dann stehen die in den meisten Fällen verkehrt zueinander.

Noch eine seltsame Angewohnheit habe ich im Zusammenhang mit Schuhen. Mir selbst würde das nicht auffallen, aber mein Freund hat mich schon einige Male darauf hingewiesen: Und zwar, wenn ich meine Schuhe schnell ausziehe, weil ich es eilig habe, dann stehen die in den meisten Fällen verkehrt zueinander. Also nicht der rechte Schuh rechts und der linke Schuh links, sondern umgekehrt: der rechte links und der linke rechts, die Außenseiten zueinander gekehrt. Ich weiß weder WIE ich das in der Eile schaffe noch warum ich das mache. Muss irgendetwas Unbewusstes sein … so wie die Tatsache, dass ich es liebe alles in Schachteln, Laden und Truhen zu verstauen, um es dann zu vergessen. Ich liebe Truhen und schöne Schachteln … immer schon … wahrscheinlich um Dinge darin verschwinden zu lassen 😉

Noch so ein Tick ist: Wenn ich alleine zuhause bin, mache ich noch einen Rundgang durchs Haus bevor ich schlafen gehe. Auch in den Keller und unters Bett werfe ich einen Blick bevor ich mich hinlege. Keine Ahnung was ich erwarte dort zu entdecken, aber ich tue es. Waren wohl doch zu viele Geistergeschichten in meiner Kindheit.

Verlasse ich das Haus, vergewissere ich mich mindestens einmal, ob ich auch tatsächlich zugesperrt habe. Fahre ich für länger weg, kontrolliere ich mindestens einmal (wenn nicht öfter), ob auch tatsächlich alle Fenster geschlossen, die Kaffeemaschine und das Bügeleisen abgesteckt sind. Als Kind habe ich meine Mutter deswegen belächelt. Heute bin ich genauso.

Ich mag keine unterschiedlichen Konsistenzen in meinem Essen. Es geht also gar nicht, wenn sich in einem weichen Gericht (wie zB ein Risotto oder ein Schokomus) irgendwelche harten Stücke finden – zB Granatapfelkerne oder Nüsse. Apropos Nüsse: Bei Giotto-Kugeln knabbere ich zuerst immer die Haselnussstücken von der Hülle runter und dann lasse ich die mit Nougat gefüllten Kugeln auf der Zunge zergehen. Bei gefüllten Keksen (zB Prinzenrolle) esse ich soweit möglich den Keks rund um die Füllung weg und mache mich am Schluss über die Creme her.

Das sind nur einige Beispiele für den ganz normalen Wahnsinn, mit dem ich Tag für Tag lebe. Machen Sie in Ihrem Alltag auch Dinge, von denen sie glauben, dass sie seltsam sind? Und Sie sprechen ungerne darüber bzw. versuchen diese Angewohnheiten so gut es geht zu verheimlichen, weil sie befürchten, dass sie von anderen Menschen deswegen für komisch gehalten werden? Keine Sorge: Sie sind nicht alleine damit! Und Sie sind nicht komisch. Zumindest nicht komischer als andere Menschen.

Die Milz ist schuld

Eigentlich – also, wenn man es ganz genau nimmt – ist ja sowieso die Milz an allem schuld. Ja, Sie haben richtig gelesen: die Milz. Der Ausdruck „Spleen“ stammt nämlich von dem englischen Begriff für „Milz“ ab. Die Menschen gingen früher davon aus, dass das Organ für bestimmte Gemütszustände verantwortlich ist – u.a. für Hypochondrie und insbesondere für Melancholie. Heute bezeichnen wir mit dem Begriff „Spleen“ leicht verrückte Eigenschaften.

Die Psychologie sagt: Spleens, Angewohnheiten und lieb gewonnene Abläufe helfen, einen Rahmen für den Alltag zu schaffen und Ordnung bzw. Berechenbarkeit in das Chaos zu bringen, das zum Leben gehört. Die Sicherheit, die solche Rituale geben, entlastet emotional und auch ganz praktisch. Es sollten nur nicht zu viele Spleens werden. In dem Moment, in dem solche Angewohnheiten den eigenen Alltag beeinträchtigen oder mehr als eine Stunde am Tag in Anspruch nehmen, kann man davon ausgehen, dass man ein echtes Problem hat. Laut Dr. Osen, einem deutschen Zwangsspezialisten, trifft das allerdings nur auf rund 2% der Bevölkerung zu. Zudem entstehen echte Zwangsstörungen häufig in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter – „nach dem 40. Lebensjahr kaum noch.“ Also bin ich aus dem Schneider 😉

Spleens sind also etwas ganz Normales. Dass das Thema uns alle betrifft, zeigt sich unter anderem daran, dass es sogar eigene „Spleen-Rankings“ im Netz gibt. Tatsache: Es gibt Leute, die basierend auf Umfragen die vielen verbreiteten Marotten nach ihrer Häufigkeit gelistet haben. Auf ein solches Ranking stieß ich bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob ich auf Grund meiner teils schrägen Angewohnheiten komisch bin. Und ich freue mich Ihnen sagen zu können: Nein, bin ich nicht. Fünf meiner Spleens zählen sogar zu den verbreitetsten! J

Das Ranking

Und hier ist das Ranking, das ich im Internet gefunden habe:

Platz 1. „Der Doppel-Check-Spleen. Sie verlassen die Wohnung und stellen sich kurz darauf die Frage, ob die Haustür wirklich abgeschlossen und das Glätteisen tatsächlich ausgeschaltet ist. Sie gehen zurück, um die Lage zu checken. Es handelt sich hierbei um den absoluten Klassiker und Spleen Nr. 1.

Platz 2. „Niemals das erste Produkt im Regal nehmen. Sie greifen im Supermarktregal lieber zur hintersten Packung, weil Sie befürchten, dass die vorderen Produkte schon von 30 anderen Kunden angegrabscht wurden? Dann herzlichen Glückwunsch, Sie sind nicht alleine!“ (Einerseits beruhigend, andererseits auch nicht: Denn jetzt weiß ich, dass auch andere die hinteren Produkte schon befummelt haben könnten.)

Platz 3. „Das Beste kommt zum Schluss: Ein Teller, voll beladen mit kulinarischen Köstlichkeiten – doch was schnappen wir uns zuerst? Eigentlich ganz einfach: Wir verputzen erst das, was wir weniger mögen, denn dann wird das letzte Stück zum echten Highlight-Bissen.

Platz 4. „Die korrekte Ausrichtung der Bettdecke: Für viele ist die korrekte Ausrichtung der Bettdecke eine Grundvoraussetzung für erholsamen Schlaf. Knöpfe und Reißverschlüsse gehören ans Fußende.“ (Also für mich ist es keine Grundvoraussetzung für erholsamen Schlaf, ich mache das Bett aber trotzdem jeden Tag, wobei die Knöpfe und Reißverschlüsse tatsächlich ans untere Ende gehören, wie ich finde.)

Platz 5.Es gibt Menschen, die sich den Wecker extra früher stellen, um dann etliche Male die Schlummertaste zu drücken und sich an der Tatsache zu erfreuen, dass sie noch ein paar Stunden schlafen können.“ (Dieses Gefühl, vom Klingeln des Weckers aufzuwachen und zu realisieren, dass man noch weiter schlafen kann, erachtete ich – wie oben erwähnt – auch eine Zeit lang als ganz großartig. Bis ich draufgekommen bin, dass das eigentlich schwachsinnig ist, den Schlaf zu unterbrechen nur um sich kurz mal zu freuen. Mitten in der Nacht, wohlgemerkt.)

Die Erfahrungsberichte anderer

Bei einer Sandra muss die Weckzeit mathematisch korrekt sein, beispielsweise 6:32 Uhr, da 6 = 3 x 2 ist.

Im Zuge meiner Macken-Recherche bin ich übrigens auch auf die Erfahrungsberichte anderer gestoßen und ganz ehrlich: Verglichen mit den Macken anderer Menschen, scheinen meine persönlichen Marotten nur mehr halb so schräg. Eine Veronika zum Beispiel öffnet die Mikrowelle prinzipiell vor dem „Bing“, nur um „Macht über den Vorgang“ zu demonstrieren. Sie entscheidet, wann ihr Essen die perfekte Temperatur hat – nicht das Elektrogerät!

Bei einem Robin muss die Lautstärke immer auf einem 5er-Schritt stehen. Dementsprechend ist das Radio so zu kaufen, dass es bei genau diesen Zahlen eine angenehm leise/mittlere/hohe Lautstärke aufweist. Sind diese Zahlen nicht mit dem erwarteten Hörerlebnis übereinstimmend, ist das Radio einfach falsch.

Cool finde ich den Tick von Sandra. Bei ihr muss die Weckzeit mathematisch korrekt sein, beispielsweise 6:32 Uhr, da 6 = 3 x 2 ist. Sie würde ihren Wecker nie auf 6:30 Uhr stellen, da die Gleichung so nicht aufgeht. Bei einem „CmdrCodie“ muss die Weckzeit immer dem Schema 6:46, 7:47, 9:29 entsprechen. Alles andere sei furchtbar asymmetrisch.

Fazit

Wie man sieht: Wir alle haben kleine Macken, die andere vielleicht als bescheuert abstempeln – aber sie gehören zu uns. Sie sind unser Markenzeichen, ein Teil unserer Persönlichkeit. Und mal ehrlich: Wie langweilig wäre es denn bitte, wenn wir alle perfekt wären?
Solange wir niemandem damit schaden, gönnen wir sie uns doch einfach. Schließlich helfen sie jedem von uns auf ganz persönliche Art und Weise, die Welt ein bisschen kontrollierbarer und schöner zu machen.

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Ich muss echt aufpassen, dass sich das nicht zu einer ausgewachsenen Zwangsneurose entwickelt.
Ich muss echt aufpassen, dass sich das nicht zu einer ausgewachsenen Zwangsneurose entwickelt.
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